Rezension von Volker Albert (Vorsitzender Deutsche Tinnitus-Liga e.V.)
Als mir eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle der Deutschen Tinnitus-Liga e. V. (DTL) vorschlug, doch bei der Fortbildung der ehrenamtlich aktiven Mitglieder in 2020 über die COMiTʼID-Studie zu berichten, konnte ich zunächst nichts damit anfangen, wusste lediglich, dass es sie gibt. Ich wusste auch, dass ich erst kürzlich darüber etwas gelesen hatte. Nur wo, das war mir zunächst nicht klar.
Parallel hatte ich das im Februar veröffentlichte Sachbuch „Ganz Ohr – Alles über unser Gehör und wie es uns geistig fit hält“ von Thomas Sünder und Dr. Andreas Borta als Rezensionsexemplar vom Verlag angefordert. Den dazu gehörigen Pressetext hatte ich bereits gelesen: „Rund 10 Millionen Deutsche sind von Demenz bedroht, weil sie keine Hörgeräte tragen. Thomas Sünder und Dr. Andreas Borta tragen in ihrem Buch ,Ganz Ohrʻ alles zum Gehörsinn zusammen, was man wissen sollte. Das Gehirn von Menschen, die schwer oder gar nicht hören, schrumpft mit der Zeit. Wussten Sie das?“
Dieses Buch hat mich von den ersten Seiten an wie in einen Strudel hineingezogen. Es ist einfach mitreißend zu lesen. Da schreibt jemand, der persönlich betroffen ist! Einer, der aus eigener bitterer Erfahrung weiß, wie es uns „Schlappohren“ geht – mit und ohne Pfiff! Einer, der dabei nicht seinen Humor verloren hat, obwohl er seinen geliebten Beruf als Hochzeits-DJ nicht mehr ausüben konnte.
Diese Mischung aus persönlichen Erfahrungen und fachlichem Wissen durch einen alten, wirklichen Freund aus der Wissenschaft ist ein Glücksfall für alle, denen das „gute Hören“ vergangen ist. Insbesondere für diejenigen, die sich trotz ihrer Einschränkungen in der Selbsthilfe für gleich betroffene hörbehinderte Menschen engagieren. Sie sind als Laien beratend tätig, unterstützen Betroffene in Hunderten von Selbsthilfegruppen oder großen Selbsthilfeorganisationen, wie zum Beispiel im Deutschen Schwerhörigenbund e. V. (DSB), in der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft e. V. (DCIG) oder wie unsere ehrenamtlich aktiven Mitglieder in der Deutschen Tinnitus-Liga e. V. (DTL).
Mein Wunsch wäre es, dass „Ganz Ohr“ auch bei HNO-Ärzten, Hörakustikern, großen Verbänden der Hörgeräte-Industrie, bei unterstützenden Fachorganisationen und vor allen Dingen bei Politikern (von denen viele aus eigenem Erleben noch so tun, als wenn sie noch gut hören könnten) Gehör finden würde. Besser kann man kaum beschreiben, wie es den durch Hörbehinderung betroffenen Menschen geht und wie sie auch für ihre Rechte kämpfen müssen.
Wie kann man in der Politik Zahlen aus EU-Studien übersehen und überhören, die deutlich aussagen, dass durch Schwerhörigkeit Gesamtkosten für den deutschen Staatshaushalt jährlich in Höhe von 39 Milliarden Euro entstehen? Für diese Summe könnte man die ca. 11,1 Millionen hörbehinderten Menschen in Deutschland kostenlos mit Hörgeräten versorgen und mit dem Rest die (bauliche) Inklusion aller Bildungsstätten vorantreiben. So ist doch seit zig Jahren bekannt und erforscht, dass die Lärmentwicklung in Klassenräumen oder Hörsälen den Lernerfolg um 20 Prozent einschränkt!
Übrigens, die beiden Autoren hatten selbst an einer Phase der COMiTʼID-Studie teilgenommen, die zum Ziel hat, die Messinstrumente in klinischen Studien zum Thema Tinnitus zu vereinheitlichen, damit die Ergebnisse der verschiedenen Studien verglichen werden können (siehe auch TF 3/2017, S. 26, und TF 2/2018, S. 32-33). Die COMiTʼID-Studie ist eine weitere Untersuchung unter der aktiven Beteiligung von betroffenen Menschen – analog den seit 2018 aufgelegten Studien im Rahmen des EU-Projekts TIN-ACT, in das die DTL mit eingebunden wurde.